Gestartet haben wir unseren Spaziergang am Morzinplatz vor dem Denkmal der Opfer des Faschismus. Ein Denkmal, das, wie einige andere Denkmäler in Wien, erst illegal errichtet wurde und erst später – nachdem es professionell gestaltet worden war – legal und dauerhaft erbaut wurde. Es dokumentiert damit auch das stete Ringen um Geschichte und Gedenken in Österreich seit 1945.
Im Anschluss machten wir uns auf den Weg über die Börse in den neunten Bezirk. Der Alsergrund war ein Bezirk, in dem viele jüdische WienerInnen lebten. Vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei 30 Prozent, in der Rossau sogar bei 50 Prozent.
Im Servitenviertel trafen wir die ehemalige Bezirksvorsteherin des 9. Bezirks, Martina Malyar. Sie führte uns von der Gedenktafel bei der Servitengasse 6 über das Denkmal „Schlüssel gegen das Vergessen“ bei der Servitengasse 11 bis hin zum ehemaligen Lehrlingsheim und Waisenhaus in der Grünentorgasse 26, bei dem sie auch eine sehr persönliche Familiengeschichte erzählte.
Danach gedachten wir bei der ehemaligen Synagoge in der Müllnergasse 21 den Opfern der Novemberpogrome und besuchten den ersten Gedenkstein im 9. Bezirk in der Porzellangasse. Die vorletzte Station führte uns in den Innenhof des Pensionist:innenheimes „Häuser zum Leben“ Rossau, wo sich ein alter jüdischer Friedhof befindet. Der Friedhof ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof Wiens.
Der Abschluss des Spazierganges fand in der evangelischen Messiaskapelle in der Seegasse statt. Hier hieß uns Stefan Fleischner-Janits, Pfarrer der Messiaskapelle, mit Tee und Kaffee willkommen. Der Co-Teamleiter des ASH-Forums, Kirchenhistoriker Leonhard Jungwirth, blickte auf die hochambivalente Geschichte der Schwedischen Israelmission zurück, die in dem Haus der Seegasse 16 ansässig war, während Fleischner-Janits einen ersten Ausblick auf das neue, vom ihm initiierte und vom ASH Forum begleitete Gedenkort-Projekt „Israelmission/Seegasse 16“ tätigte. Das Ende des Gedenkspaziergangs war damit auch Auftakt einer neuen kritischen Auseinandersetzung mit diesem Teil evangelischer Protestantismusgeschichte in Österreich vor dem Hintergrund einer sich rasant verändernden, zunehmend diversifizierten bzw. postmigrantischen Gesellschaft.
An zwei Stellen des Gedenkspaziergangs wurden Gedichte der polnisch-israelischen Holocaustüberlebenden & Schriftstellerin Halina Birenbaum:
Gedenken
Von Halina Birenbaum - Übersetzung aus dem Polnischen mit Nea Weissberg-Bob - 1991
Gedenken – ist Leben
meiner umgebrachten Verwandten
Damals
ist Ewigkeit
ihr Leiden – Tod
sind mein Prisma
durch das ich sehe und alles bremse
das ist nicht nur gestern
das ist morgen und heute
Schmerz, Hass dem Übel
und echte Liebe
Wenn es möglich wäre...
Von Halina Birenbaum - Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert - 2.03.2000
Wenn
es möglich wäre mit Liebe
verbrennen
zu Asche
die früheren Gestalten
das Schlimme
Wenn es möglich wäre
aus dieser Asche
wieder zu leben
neu
besser
Wenn es möglich wäre
mit Tränen
abwaschen das Nichtglauben
die Verzweiflung an das existierende
Kostbare -
- ich weine und liebe
dann ist es wahrscheinlich möglich